- das Schöne
- das Schöne[althochdeutsch scōni, ursprünglich »ansehnlich«, »was gesehen wird«, zu schauen], Begriff, mit dem ein Gefallen bekundet wird, der eine hohe ästhetische oder damit verbundene ethische Wertung zum Ausdruck bringt, in der Ästhetik definiert als der höchste ästhetische Wert, der durch bestimmte Eigenschaften eines Objekts oder bestimmte Modalitäten einer sinnlichen Erfahrung verkörpert wird, im Gegensatz zum Hässlichen (hässlich). Das Vermögen, zwischen dem Schönen und dem Hässlichen zu unterscheiden, ist der Geschmack 1) oder die ästhetische Urteilskraft. Das durch Schönheit angeregte Wohlgefallen ist zu unterscheiden von demjenigen, das durch das Erhabene (überwältigt das menschliche Vorstellungsvermögen), durch das Interessante (erregt Aufmerksamkeit, bindet das freie Spiel der Einbildungskraft), durch das Gute (lässt die moralische Wertebene dominieren), durch das Nützliche (nimmt dem ästhetischen Urteil seine Unparteilichkeit) und durch das Angenehme (verniedlicht das Schöne zu einem alltäglichen Reiz) bewirkt wird.Traditionell wird einerseits versucht, dem Schönen einen besonderen Ort zuzuweisen, der v. a. in den Künsten, aber auch übergreifend in der Natur oder im Kosmos gesehen wird und dem als philosophische Theorie die Ästhetik entspricht; andererseits wird das Ästhetische als Grundkategorie menschlicher Erfahrung angenommen, die als ein besonderes Vermögen an jeder Wahrnehmung beteiligt und theoretisch durch Psychologie, Physiologie, Soziologie und Anthropologie zu erhellen ist. Beide Sichtweisen haben reichhaltige historische und kulturvergleichende Befunde hervorgebracht, die die Norm des Schönen zu bestimmen versuchen. Erst in der Moderne hat sich diese Bindung an bestimmte Seinsbereiche und Sichtweisen aufgelöst und das Schöne als autonomes Phänomen der Wahrnehmung oder der Wirklichkeit verselbstständigt. Wie die Geschichte seiner Begriffsbestimmungen zeigt, wird etwas nicht von allen Menschen und zu jeder Zeit für »schön« angesehen. Vielmehr erweist sich das Schöne als abhängig von historisch-kulturellen Normen und den Bedingungen individueller Erfahrung. Für das Subjekt hat das »Schöne« einen absoluten Geltungscharakter und kann über seine Funktion als Beurteilungskriterium hinausgehend allgemeine Wertkategorie sein und zu bestimmtem Handeln motivieren.In den vielen historischen Versuchen, den Charakter des Schönen zu bestimmen, sind ihm zahlreiche Eigenschaften zugesprochen worden, die auch heute noch das Urteil darüber prägen, was als »schön« zu gelten habe. Zu den Kriterien für die Beurteilung und Gestaltung des Schönen zählen: Harmonie als sinnfälliger Ausdruck eines universalen Proportionsgesetzes, verkörpert durch ideale Zahlen und geometrische Grundformen; Schönheit als Idee (Platon); Ordnung, Ebenmaß, Bestimmtheit, Anschaubarkeit und erinnerbare Größe; Nachahmung der »schönen Natur« (Mimesis; Aristoteles); Schönheit als Seelenverwandtschaft zwischen Sehendem und Gesehenem, auch als Übereinstimmung der äußeren Vielheit der Materie mit der inneren Einheit der Idee, die »schöne Seele« (Plotin). Kriterien für die Verwirklichung des Schönen sind Ordinatio (proportionale Ordnung), Dispositio (zweckmäßige Aufteilung und Anordnung), Eurhythmia (anmutiges Aussehen), Symmetria (modularer Einklang zwischen den Teilen und dem Ganzen), Decor (Angemessenheit der Teile und Formen aufgrund von Tradition, Konvention und Naturgemäßheit), Distributio (zweckmäßige und sparsame technische Ausführung); Maße, Zahlen und Proportionen des menschlichen Körpers gelten als ästhetische Norm (Vitruv). Nach Augustinus ist Schönheit Erscheinung des Göttlichen im Wahrnehmbaren, Einheit aus Gegensätzen und Antithesen. Voraussetzung der Schönheit von Formen und Farben ist das Licht, das aus sich selbst heraus schön ist, weil es durch Einheitlichkeit und Gleichheit im Einklang mit sich selbst steht (R. Grosseteste). Das Schöne zeigt sich in der Unversehrtheit oder Vollendung, dem gebührenden Maßverhältnis oder der Übereinstimmung der Teile, in der Vollkommenheit der Darstellung, aber auch als geistliche und körperliche Klarheit (Thomas von Aquino), im Zusammenklang von Größe, Proportion, Figur und Farbe sowie in »leuchtender« Grazie (G. Pico della Mirandola); im Zusammenklang der Teile in einem harmonischen Ganzen nach bestimmten Zahlen sowie besonderen Beziehungen und Anordnungen in Analogie zu musikalischen und kosmischen Harmonien (L. B. Alberti). Schönheit ist Funktion des Geschmacks, der in Kenntnis unveränderbarer Regeln urteilt (J. C. Gottsched). In anderer Hinsicht ist sie Ausdruck einer (subjektiven) Empfindung, der keinerlei allgemeine Verbindlichkeit zukommt (D. Hume). Als »schön« kann dasjenige gelten, was ohne Interesse und ohne Begriff allgemein gefällt. Schönheit besteht dann in der Form der Zweckmäßigkeit eines Gegenstandes ohne Vorstellung und Wahrnehmung eines Zwecks und ist zugleich Symbol des Sittlich-Guten (I. Kant). Schönheit ist der farbige Abglanz eines Urphänomens (Goethe) oder das sinnliche Scheinen der Idee und findet Ausdruck in einer vollkommenen Vermittlung von Form und Gehalt (G. W. F. Hegel). Wird Schönheit als Selbstbespiegelung des Menschen in der Welt gefasst, so wird der »schöne Mensch« zur ästhetischen Norm (F. Nietzsche). Schönheit liegt im »Vor-Schein« möglicher Wirklichkeit (E. Bloch). - In einer Gegenbewegung zur ästhetischen Norm des Schönen findet das Hässliche, Deformierte, Dekonstruierte, Fragmentarische, Dissonante und Absurde als »negative Schönheit« Beachtung (T. W. Adorno).Dialektik des SchönenSeit der Antike wird eine eigentümliche Doppelgesichtigkeit des Schönen festgestellt: Schon Platon erkannte eine Differenz zwischen Sein und Schein des Schönen, die darin bestehe, dass etwas objektiv schön sein könne, ohne subjektiv als schön erkannt zu werden (und umgekehrt). Diese Differenz (die bei Platon später zugunsten eines absoluten objektiven Schönen aufgelöst wird) wirft die Frage nach dem Geltungscharakter des Schönen auf, die den ästhetischen Diskurs bis in die Gegenwart prägt. Danach muss unterschieden werden zwischen einer essenzialistischen Begründung des Schönen, die an einem unveränderlichen »Wesen« orientiert ist (»schön« ist das, worin sich dieses »Wesen« jeweils realisiert), und einer relativistischen Begründung, die den Wandel von sozial verankerten Normen und Konventionen in den Vordergrund stellt (»schön« ist das, was von den Menschen einer Zeit an einem Ort innerhalb einer Kultur für schön gehalten wird). Neben dieser Differenz muss noch auf diejenige zwischen formalen und inhaltlichen Bestimmungen des Schönen hingewiesen werden, die sowohl essenzialistisch als auch relativistisch eingeführt werden können und zu völlig gegensätzlichen Auffassungen führen. Ansätze zu einer Vermittlung dieser Gegensätze macht die semiotische Ästhetik, die Schönheit als Zeichen eines besonderen ästhetischen Zustandes definiert, der zwischen Form und Bedeutung sowie zwischen Subjekt und Objekt vermittle. Am weitesten verbreitet dürfte eine gemäßigt relativistische Auffassung des Schönen sein, die ideologiekritische, hermeneutische, kulturhistorische und anthropologische Gesichtspunkte berücksichtigt. Die »Negativität des Schönen«, die von Adorno zum Inbegriff der Kunst der Moderne erklärt wurde, wird konterkariert von einer »Aktualität des Schönen« (H.-G. Gadamer), deren Spuren bis in den Alltag der Lebenswirklichkeit hineinreichen (z. B. im Design).Theorien des SchönenDer Dialektik des Schönen entspricht eine Dialektik der Theorien des Schönen, die sich in deren historischen Entwicklung darstellt. Hierbei wird das Schöne in folgenden Bedeutungen unterschieden:Das ideale Schöne:Platon entwickelt seine Konzeption des Schönen in einem Stufenmodell, das von dem niedrigen Schönen in der sinnlichen Wahrnehmung zur Idee des Schönen in der geistigen Erkenntnis als höchster Stufe reicht. Daran anknüpfend gilt das Schöne als Inbegriff höchster Vollkommenheit (als Idee, ein geistig-göttliches Sein) und als ein ideales Prinzip, das sich in der Schöpfung, der Ordnung und Harmonie des Kosmos sowie in dessen Glanz (Plotin, Grosseteste, Thomas von Aquino) manifestiert und in enger Verbundenheit mit dem Wahren und Guten (Platon) das Leitbild für die sittliche Vervollkommnung der menschlichen Seele und die Gotteserkenntnis (Augustinus) darstellt. Aufgabe der Kunst ist es, ästhetische Erlebnisse des Schönen, wie es sich auch in menschlichen Seins- und Verhaltensweisen darstellen kann (Aristoteles), zu ermöglichen.Das reale Schöne:Im Mittelpunkt der Schönheitsdiskussion des Humanismus und der Renaissance steht der Mensch als Maß aller Dinge. Unter Rückgriff auf antike Quellen (Kanon des Polyklet) werden an der Schönheit des »idealen« Körpers der insbesondere menschlichen »Natur« die Normen und Kriterien entwickelt, die in Analogie für die Wahrnehmung und Schönheit überhaupt und für die Gestaltung in der Kunst zu gelten haben (Vitruv, L. B. Alberti, Leonardo da Vinci, A. Dürer).Das subjektive Schöne:Die Tatsache, dass über Schönheit gestritten werden kann, führte im 18. Jahrhundert dazu, dass die subjektiven Voraussetzungen der ästhetischen Erfahrung in den Mittelpunkt des Interesses rückten. Von einem rationalistischen Standpunkt, der unterstellt, dass die ästhetische Erfahrung des Subjekts gleichwohl gewissen Regeln des Verstandes folge (A. G. Baumgarten, Gottsched), unterscheidet sich ein sensualistischer Standpunkt, nach dem Schönheit ausschließlich im Gefühl desjenigen begründet liege, der gerade davon erfüllt sei (Hume). Eine Vermittlung dieser Positionen versucht Kant mit seinem Begriff des Geschmacks, in dem beide Momente, die Subjektivität des Wohlgefallens am Schönen und die Objektivität des Urteilens, berücksichtigt sind (»Kritik der Urteilskraft«).Das historisierende Schöne:Auch die jeweilige Bindung der ästhetischen Norm an Raum, Zeit und Ort ist früh erkannt worden, aber erst seit der Renaissance mit ihrer Glorifizierung der Antike sowie im 17.-18. Jahrhundert wurde sie problematisiert. So wird bei J. G. Herder das Schöne als Teil einer allgemeinen Bildungsgeschichte des menschlichen Geistes verstanden, das sich in einer jeweiligen Kultur verwirklicht. Bei F. W. J. Schelling, bei dem Kunst so, wie sie sich in der Geschichte manifestiert hat, als höchste Form der menschlichen Vernunft und daher als das eigentliche Organon der Philosophie ansieht, wird dieser Ansatz fortgeführt, bis hin zu Hegel, bei dem die Kunst eine der Formen darstellt, in denen sich der Weltgeist im geschichtlichen Prozess seiner Selbstverwirklichung zeigt.Das objektive Schöne:Im Gegensatz zu diesen Formen einer Gehaltsästhetik entwickelt sich in der Gegenwart eine ausschließlich objektbezogene »materiale Ästhetik« (G. D. Birkhoff, M. Bense, Abraham Moles, * 1920, ✝ 1992). Im Rahmen einer »Informationsästhetik«, die das Schöne (hier »ästhetische Zustand« genannt) in der Sprache der Informationstheorie beschreibt, wird versucht, das Schöne als einen objektiv materialen Zustand zu fassen, der exakt messbar und mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Methode darstellbar ist. In ihrer ausgesprochen generativen Komponente - als Grundlage zur Erzeugung von Computergrafik und maschinengenerierten Texten - steht ihr eine breite Anwendung im Rahmen der Entwicklung der »künstlichen Intelligenz« und auch im Sinne eines gesamten Entwurfs »möglicher (alternativer) Welten« (Vilém Flusser) vielleicht noch bevor.Das existenzielle Schöne:Dass die Schönheit für das Leben eine besondere Bedeutung hat, war schon in der Antike gesehen worden. So hat bereits Platon die Verbindung zwischen Schönheit und Eros akzentuiert, die als Lebenskraft auf Fruchtbarkeit und Kreativität ziele. Schiller lässt dagegen in seinen »Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschengeschlechts« aus dem Wechselspiel zwischen »Stofftrieb«, »Formtrieb« und »Spieltrieb« einen ästhetisch veredelten Menschen hervorgehen, der, geleitet von der Idee des Schönen, die Welt und das Leben zu einem Kunstwerk zu machen bestrebt ist, in dem alle Gegensätze in Harmonie aufgehoben sind. Demgegenüber akzentuiert A. Schopenhauer den »tröstenden« Charakter des Schönen: Im ästhetischen Genuss kann der Mensch die Mühen des Lebens vergessen und die Lasten des Alltags leichter tragen. Bei F. Nietzsche ist das Kunstwerk auch Ausdruck des menschlichen Willens zur Macht. Im Rausch verwandelt der Mensch die Dinge zur Kunst, bis sie »Reflexe seiner Vollkommenheit sind«, wobei aber die Kunst niemals ohne Zweck und Interesse wahrgenommen werden könne. - Mit dezidiert politischem Anspruch reklamiert im 20. Jahrhundert H. Marcuse die utopische Funktion der Kunst, die ihr trotz aller Abgrenzung vom Alltäglichen immer geblieben ist, als »Vorbote möglicher Wahrheit«, als ein politisches Potenzial des Widerstands gegen eine verdinglichte und entfremdete Wirklichkeit. Ebenso hebt Bloch hervor, dass das Schöne in der Kunst immer ein hergestelltes Schönes sei, das als »tätige Umarbeitung, als eine die Welt durchaus erweiternde und wesenhaft vermehrende Kraft« erscheint, die den Willen und die Motivation zur realen Umgestaltung der Welt stimuliert. Damit verkörpert auch die Kunst jenes »Prinzip Hoffnung«, von dem die politische Utopie weiterhin lebt.Das negative Schöne:Zusammen mit dem Schönen wird seit der Antike der Gegenbegriff, das Hässliche, thematisiert. Zunächst von der künstlerischen Darstellung ausgeschlossen, wird es später als Kontrast zur Verstärkung des Schönen zugelassen (G. E. Lessing) und bekommt in Verbindung mit dem Erhabenen seit dem 18. Jahrhundert einen eigenen ästhetischen Wert (E. Burke). In der Frühromantik beginnt das Hässliche eine eigenartige Faszination auszustrahlen (Novalis, E. T. A. Hoffmann). Seit Mitte des 19. Jahrhunderts formiert sich, von Frankreich ausgehend, eine Gegenbewegung zur traditionellen Ästhetik des Schönen, indem sie das Deformierte, Böse, Abnorme und Monströse an seine Stelle setzt (A. Rimbaud, C. Baudelaire). Dass sich in der negativen Schönheit der eigentliche Beginn der Moderne oder sogar deren Inbegriff artikuliert, ist philosophisch erst spät erkannt und verarbeitet worden, so von W. Benjamin: »Der schöne Schein ist die Hülle vor dem notwendigen Verhülltesten. Denn weder die Hülle noch der verhüllte Gegenstand ist das Schöne, sondern dies ist der Gegenstand in seiner Hülle. Enthüllt aber würde er unendlich unscheinbar sich erweisen.« Damit wird das Schöne zum »Geheimnis«, das im Kunstwerk erscheint und nicht gelöst werden kann. Adorno konstatiert, dass »das Schöne eher dem Hässlichen entsprungen ist als umgekehrt« und dass erst die Spannungen, Brüche und Kontraste innerhalb des Schönen eine Art von Harmonie bewirken können. Im Hässlichen wird das durch Schönheit Verdrängte und Unterdrückte offenbar. »Kunst muss (daher) das als hässlich Verfemte zu ihrer Sache machen. .. um im Hässlichen die Welt zu denunzieren, die es nach ihrem Bilde schafft und reproduziert.« Traditionelle oder klassische Schönheit versucht dagegen, das Schreckliche und Furchtbare auszublenden oder zu verniedlichen; dadurch steckt in allem Schönen ein Gewalt- und Zwangscharakter, der jedoch im Ausdruck des Schönen wiederkehrt und eine unheilvolle Wirkung ausübt.Auch in der jüngsten Ästhetikdiskussion, ausgelöst durch die französischen Poststrukturalisten (J. Derrida, J.-F. Lyotard, Jean Baudrillard, * 1929) wird der Aspekt der Gewalt und der Herrschaft, der in der Ideologie des Schönen ebenso stecke wie in der Ideologie des Wissens, zum Ansatzpunkt »methodischer Negativität« des Denkens. Das Zerlegen einer Ganzheit in diverse Elemente, die »Dekonstruktion« oder »Dekomposition«, soll das »Differente« und Inkommensurable zutage fördern, die nicht reduzierbaren Pluralitäten herausarbeiten, die unter ihrer erzwungenen ästhetischen oder logischen Einheit verschwanden. Nicht die »Trauer der Kunst«, sondern ihre postmoderne Heiterkeit im spielerischen Verfolgen von Spuren bildet die Basis für diese Konzeption ästhetische Negativität.Das Naturschöne:Eine besondere Rolle für die Konzeption des Schönen spielt von jeher die Natur als Norm des Schönen, das einerseits als Maßstab für alle davon abgeleitete Schönheit galt (Kunst ist Nachahmung der Natur, nach Aristoteles, Autoren der Antike und frühchristlichen Zeit), aber andererseits als inferior abgewertet und vom eigentlichen Schönen der Kunst abgegrenzt wurde (Hegel). Als Zäsur kann die frühe Renaissance mit F. Petrarcas erstmaliger Schilderung einer Landschaft (14. Jahrhundert) in objektiven ästhetischen Kategorien angesehen werden, wie sie in der Folge mehrfach wiederholt und erweitert wurde. Wenig später (15. Jahrhundert) entwickelte sich die Gattung der reinen Landschaftsmalerei. Besondere Akzentuierung erhielt die Diskussion um das Naturschöne seit dem 18. Jahrhundert, als Gegenkonzept zum Rationalismus und zur bestehenden Gesellschaft und Zivilisation (J.-J. Rousseau, Ästhetik des Sturm und Drang) sowie auch zur beginnenden Rationalisierung und Industrialisierung des täglichen Lebens (mystische Naturästhetik in der Romantik: Novalis, W. Wackenroder, P. O. Runge, C. D. Friedrich, K. F. Schinkel). Die Natur wird zum Symbol des Göttlichen erhoben, und die Kunst vermittelt durch ihre symbolischen Formen zwischen Irdischem und Göttlichem. In der Moderne ist es wiederum Adorno, der das Naturschöne in besonderer Weise in seiner Ästhetik thematisiert. Dabei geht es um einen Parallelismus in der künstlerischen und natürlichen Produktion, wobei jedoch erst die künstlerischen Bilder »einlösen, was die Natur verspricht«. Das Kunstwerk kann dies nach Adorno leisten, »weil es durch seine Sprache das Unsagbare der Sprache von Natur imitiert« und dadurch etwas Unsagbares zeigt: »Das Lückenlose, Gefügte, in sich Ruhende der Kunstwerke ist Nachbild des Schweigens, aus welchem allein Natur redet.« Indem die Kunst in ihren Werken die »Versöhnung« von Geist (Kunstform, Idee) und Sinnlichkeit zeigen (aber nicht sagen) kann, überholt sie die darin konkurrierende Natur; beide ergänzen sich in ihrer nichtbegrifflichen ästhetischen Sprache, die den Charakter eines Rätsels oder Geheimnisses nicht ganz ablegt und damit ein Signum der Moderne verkörpert. Daran anknüpfend sieht Rudolf zur Lippe (* 1937) eine noch innigere und grundlegendere Beziehung zwischen dem Natur- und Kunst-S.chönen, da sich das Ästhetische in einer mimetischen Korrespondenz von äußerer Natur und innerer Natur des erlebenden Menschen manifestiere. Er bezeichnet dieses Korrespondenzerlebnis als »Sinnenbewusstsein«, das an die Stelle des zu engen und ideologisch befrachteten Begriffs des Schönen treten soll. Nach diesem Verständnis muss jedes Schönheitserlebnis zur Begegnung mit dem Naturschönen (in uns und außer uns) erklärt werden.Die Funktionen des Schönen in der GesellschaftDass das Schöne eine soziale Funktion besitzt, war schon von Kant und v. a. Schiller betont worden: Der gleiche Geschmack vereint Menschen und drängt auf kommunikativen Austausch; der Sinn für Schönheit macht den Menschen gesellig und harmonisch und bringt dadurch Harmonie in die Gesellschaft, befördert also Humanität (die dann von Adorno freilich als zwanghaft und gewalttätig denunziert wird). Aber erst in der Gegenwart sind die sozialen Funktionen des Schönen nach dessen Rückzug aus der Kunst umfassend gesehen und beschrieben worden. Es lassen sich folgende Aspekte herauslösen:Das Schöne als soziale Norm:Der Idealismus hatte übersehen, dass das Schöne die Menschen nicht nur vereint, sondern auch und gerade trennt: Durch Setzung und Tradierung ästhetischer Normen bilden sich Geschmackskulturen, die sich als soziale Gruppen gegeneinander abgrenzen. Bereits T. B. Veblen hatte 1899 in seiner »Theorie der feinen Leute« auf diese Differenzierungsfunktion des Schönen hingewiesen, wobei das Schöne hier mit dem Kostbaren, Seltenen und Verschwenderischen korrespondiert. P. F. Bourdieu zeigte 1979 in seiner groß angelegten Untersuchung über »Die feinen Unterschiede«, wie sich die ästhetischen Präferenzen bis in die Lebensstile einzelner sozialer Gruppen auswirken. Medium der Distinktion ist der Geschmack, der für jede Gruppe bis in alltägliche Details (z. B. Ess- und Trinkgewohnheiten, Automarke, Freizeitbeschäftigungen) zu ähnlichen oder gleichen Vorlieben und Auswahlentscheidungen führt. Seine These ist daher, dass der Sinn für das Schöne als soziale Norm übernommen oder erlernt werden muss, was besonders bei sozialem Aufstieg zu Schwierigkeiten führen kann (beispielhaft gestaltet von Molière in »Der Bürger als Edelmann«). Auch die Kunst wird im sozialen Prozess zum Distinktionsmedium instrumentalisiert: Museen, Galerien und Kunstkritik versuchen gegenzusteuern, sind aber selbst auch Institutionen sozialer Gruppen, v. a. des Bildungsbürgertums. Die Veränderung oder Neubegründung ästhetischer Normen in einer bestehenden Gesellschaft ist ein äußerst vielschichtiger und kaum steuerbarer Prozess, wie aus dem Schicksal der ästhetischen Avantgarden abzulesen ist.Das Schöne als Warenästhetik, Design, Mode und Styling:Mit der Industrialisierung der Produktion von Konsumgütern im 19. Jahrhundert entstand das Problem der Beziehung von Kunst, Handwerk und Industrie zur Schönheit der Produkte (»Das Hässliche verkauft sich schlecht«). Die komplexe Diskussion lässt sich für die Moderne in dem Theorem zusammenfassen, dass nur die Form schön sein könne, die vollständig aus der Funktion und der Konstruktion der Gegenstände abgeleitet sei. Dieser Norm (die in ihrer Verwirklichung nie ganz streng befolgt wurde) haben sich diverse Tendenzen entgegengestellt, die vom Historismus über Art déco und Pop-Art bis zur Postmoderne das Gegenteil behaupteten: Das Schöne in Gestaltung und Schmuck eines Objekts müsse die banale Funktion und die hässliche Konstruktion verbergen oder überhöhen. Im zeitgenössischen Produktdesign finden beide Haltungen ihre Anhänger und ergänzen sich ökonomisch auf sinnvolle Weise. Als »Warenästhetik« (Wolfgang Fritz Haug, * 1936) wird diejenige gestalterische Strategie bezeichnet, die bei gleicher Funktion des Produkts lediglich die Form verändert und dadurch ein neues Produkt vortäuscht. Das »Styling« ist eine geringfügige Variation von Produktformen, die immer neue Trends aufnimmt und damit Zeitgemäßheit anzeigt (z. B. im Autodesign). In der Mode werden ausschließlich Trends gesetzt oder verfolgt, die letztlich im ständigen Wechsel einer Reihe von immer wieder variierten Grundformen bestehen (z. B. Bekleidungsindustrie). Die Rolle des Produktdesigns und der Warenästhetik in der Konsumgesellschaft muss hoch eingeschätzt werden, weil sie bei gesättigten Märkten und befriedigten Bedürfnissen immer wieder eine neue Nachfrage erzeugen können. Dagegen setzte allerdings Adorno sein Verdikt: »Das finstere Geheimnis der Kunst ist der Fetischcharakter der Ware. Aus ihrer Verstrickung möchte der Funktionalismus ausbrechen und zerrt vergebens an den Ketten, solange er der verstrickten Gesellschaft hörig bleibt.«Schönheit als Ideologie:Immer wieder sind im Namen und mit Mitteln der Schönheit Versuche unternommen worden, das Leben und die Wirklichkeit zu verändern. Für die Moderne ist dieser Vorgang konstitutiv, wie etwa die postrevolutionäre Kunst der Sowjetunion der 1920er-Jahre, das Bauhaus und die Dada-Bewegung in Deutschland zeigen; eine Weiterführung fand in der Studentenbewegung von 1968 statt. Dabei verstehen sich ästhetisch produktive Gruppen als »Avantgarde«, die gegen die hässliche Lebenswirklichkeit solche künstlerische Produkte setzt, die das Denken und Wahrnehmen aus ihren gewohnten Bahnen herausreißen und dem Individuum helfen können, sein Leben sinnvoll zu gestalten und zu genießen. Die Kunst soll Leben und das Leben soll Kunst werden, die Schönheit soll dabei eine führende Rolle übernehmen, ihr utopisches Versprechen soll auf diese Weise eingelöst werden. Die Problematik aller bisherigen Avantgarden, die Kluft zwischen Kunst und Leben nicht überbrücken zu können, hat schließlich meistens zu ihrem Scheitern geführt, was dem Fortleben der Ideologie des Schönen keinen Abbruch getan hat.Zerrbild der ästhetischen Avantgarde ist der »Ästhetizismus«, der sich im »Reich des Schönen« gegen das Leben abkapselt und seine Identität gerade aus diesem Gegensatz bezieht (z. B. in Form des Wagnerkults oder im Rahmen des Georgekreises). Schönheit als Narkotikum und als Ersatz für die »minderwertige Realität« ist eine Versuchung geblieben, die gegenwärtig vielleicht am stärksten von der Musik getragen wird (Oper, Meditationsmusik, Popmusik). Auch der Faschismus hatte versucht, sich dieser Form von Schönheit in seinen Ritualen zu bemächtigen.Schließlich wird das Schöne auch als kritische Instanz wirksam, die, bei aller Bindung, Verwertung und Relativierung, innerhalb einer jeweiligen kulturellen Situation den ästhetischen Maßstab bestimmt und Ausdruck der ästhetischen Ideen ihrer jeweils kreativen und produktiven Individuen ist. Diese Funktion wird von der Kunst wahrgenommen, die in ihren verschiedenen Erscheinungsformen, Techniken und Realisierungsmitteln (die das Hässliche als negatives Schönes einschließen) den Freiraum zu verteidigen versucht, der ihr nach Lösung von religiösen und machtpolitischen Bindungen in der bürgerlichen Gesellschaft zugebilligt wurde. Dass diese Funktion nur mithilfe der Kunstvermittlung und Kunstkritik erfüllt werden kann, ist unvermeidlich, denn »zur Selbstverständlichkeit wurde, dass nichts, was die Kunst betrifft, mehr selbstverständlich ist« (Adorno). Das Schöne in der Kunst kann so zum Korrektiv für das Bestehende und zum »Vor-Schein« möglicher Wirklichkeiten werden, also zu einem Organon, das die Gesellschaft zu ihrer Weiterentwicklung benötigt.Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:Ästhetik · Kunst · Postmoderne · WahrnehmungC. Borgeest: Das sogenannte S. Ästhet. Sozialschranken (1977);H.-G. Gadamer: Die Aktualität des S. (1979, Nachdr. 1995);E. Grassi: Die Theorie des S. in der Antike (Neuausg. 1980);G. Pochat: Gesch. der Ästhetik u. Kunsttheorie (1986);Der Schein des S., hg. v. D. Kamper u. a. (1989);M. Jäger: Die Theorie des S. in der ital. Renaissance (1990);C. F. von Weizsäcker: Das S., in: C. F. von Weizsäcker: Der Garten des Menschlichen (Neuausg. 1992);R. Assunto: Die Theorie des S. im MA. (a. d. Ital. u. Lat., Neuausg. 1996);B. Guggenberger: Einfach schön. Schönheit als soziale Macht (Neuausg. 1997).
Universal-Lexikon. 2012.